Full Text for CTM Miscellanea 17-4 (Text)

(ttuurnrbta: ml1tnlugital :!IntttIJly Continuin g LEHRE UNO VVEHRE MAGAZIN FUER EV .• LuTH. HOMILETIK THEOLOGICAL QUARTERLY· THEOLOGICAL M ONTHLY Vol. xvn April, 1946 No.4 CONTENTS Page The Formative Years of Doctor Luther. E. G. Schwiebert _____ ___ .. _ 241 The Greatest Missionary Problem. H. Nau _______ .. ____________________ .... _ __ 257 Outlines on the Standard Epistle Lessons ___ .. ____ .. _____ .. ___________________ 267 Miscellanea ______ ____ .. __________ ________ .... ________ .. ____________________________ .. _______________ 280 Theological Observer ______ ______________________ .. ___ .. ___________________________ ______ ____ 297 Book Review _________________ .. ______ ___________ __ ____________ _________ __ ________ __ 315 Ein Prediger muss nicht allein wei- den, also dass er die Schaie unter- weise, wie sie rechte Christen sollen sein. sondern auch daneben den Woe!- fen wehTen, dass sie die Schafe nicht angTelfen and mit falscher Lehre ver- fuehren and Irrtum einfuehren_ Luther Es ist kein Ding. das die Leute mehr bel der Kircbe behaelt denn die gute Predigt. - A pologie, Art. 24 If the trumpet give an uncertain sound. who shall prepare himself to the battle? -1 Cor. 24 :8 Published by the Ev. Luth. Synod of Missouri, Ohio, and Other States CONCORDIA PUBLISHING HOUSE, St. Louis 18, Mo. PDlf'DD EN t/. 8 • • . Miscellanea Der Wittenberger Altar Theologischer Gemeindevortrag neber das ldrchliche Erbe der Reformation anlaesslich des 400. Todestages D. Martin Luthers Von Lie. Otto Stroh Professor der Theologie am Predigerseminar und Pfarrer in Friedberg/Hessen Wenn wir das Erbe einer geistigen Bewegung der Vergangen- heit uns vergegenwaertigen wollen, so stehen wir immer in der Gefahr, es von unseren eigenen geistigen Praemissen aus zu ver- zeichnen. Wir sehen einfach die Zeit von damals durch die Brille der Zeit von heute. Das gilt schon gegenueber festumrissenen Gestalten der Geschichte, deren Bild sich uns von unseren eigenen geistigen Voraussetzungen aus ganz unmerklich verschiebt. Beson- ders eindruecklich vermag das zu werden wenn man in der Luther- ha11e zu Wittenberg eine Zusammenstellung der Lutherbilder aus den verschiedenen geistigen Epochen sieht. Meist liegt ihnen ein echtes Cranachbild zugrunde, und das jeweilige Bild will gar eine "Kopie nach Cranach" sein; aber jedesmal wird aus dem Luther Cranachs ein gaenzlich anderer Luther, der in keiner Weise mehr del' Luther der Reformation ist, sondern der Luther der Orthodoxie, des Pietismus, des Rationalismus, del' Romantik usw., das heisst: es ist gar nicht einmal der Luther der Orthodoxie, des Pietismus, des Rationalismus, der Romantik usw., sondern es ist die Ver- koerperung der Orthodoxie, die Verkoerperung des Pietismus, die Verkoerperung des Rationalismus usw. mit Ieisen Anklaengen an gewisse Zuege des Cranachschen Lutherbildes. Wenn jede Zeit schon eine so markante Persoenlichkeit wie die Luthers so ver- schieden sieht und sein Bild einfach bis zur voelligen Entstellung hin abwandeIt, wie vielmehr ist dann eine geistige Bewegung von der Weite und der Tiefe der Reformation in Gefahr, in spaeteren Epochen nur einseitig erfasst und von anderen Voraussetzungen aus falsch gedeutet zu werden! Das Erbe der Reformation wurde vom Pietismus voellig andel's gesehen als von der Orthodoxie und vom Rationalismus wieder voellig anders als vom Pietism us, und schliesslich stehen auch wir nicht ausserhalb der Gefahr, von der geistigen Welt des modernen Menschen aus die Reformation und ihr Erbe zu sehen und zu werten. Bis zu einem gewissen Grad mag es sogar durchaus berechtigt sein, den eigenen Standort nicht zu vergessen und zu pruefen, wieweit das Erbe eben uns ein Erbe zu sein vermag. Aber das kann doch nul' dann recht geschehen, wenn nicht das kirchliche Erbe der Reformation von vornherein so dargeste11t wird, wie es in unsere Gedankenwelt zu passen scheint. Wer von del' menschlichen Persoenlichkeit des Refor- mators einen zuverlaessigen Eindruck gewinnen will, dad sich nicht etwa in eines del' Bauerschen Lutherbilder aus dem ersten Jahr- zehnt unseres Jahrhunderts versenken, sondern muss schon die [280] MISCELLANEA 281 alten Kupferstiche Cranachs von 1520 und 1521 oder seine Oel- gemaelde von 1525 und 1526 hervorholen. Genau so werden wir nur dann das kirchliche Erbe der Reformation recht erfassen, wenn wir auf das Zeugnis der Reformation selbst zurueckgehen. Das koennte ein literarisches Zeugnis sein, etwa die Confessio Augustana von 1530, also die Bekenntnisschrift, mit der sich die evangelischen Staende auf dem Augsburger Reichstag vor dem Kaiser ver- antwortet haben und die als das Grundbekenntnis der lutherischen Kirche zu gelten hat. Es koennte aber auch ein kuenstlerisches Zeugnis sein, wenn ein solches vorhanden ist, das wirklich Be- kenntnischarakter hat und darum als ein testimonium ad omnem posteritatem, d. h., als Zeugnis fuer aIle Nachwelt, anzusprechen ist. Ein solches Zeugnis ist uns gegeben in dem grossen Fluegelaltar der Wittenberger Stadtkirche, den Lukas Cranach kurz nach Luthers Tod gemalt hat und der nach alter Ueberlieferung am 24. April 1547, also am Tag der fuer die evangelischen Staende so ungluecklichen und den Schmalkaldischen Krieg entscheidenden Schlacht bei MUehlberg, eingeweiht wurde. Hier hat Cranach, der Buergermeister Wittenbergs, wirklich das kirchliche Erbe der Reformation gestaltet und der gesamten evangelischen Kirche an betontester Stelle, naemlich in der Predigtkirche Luthers, ein Mahnmal der Reformation hinterlassen. Wenn wir die Bilder dieses Mahnmales auf uns wirken lassen, stehen wir nicht in der Gefahr, unsere eigenen kirchlichen Anschauungen in die Reformation zu projizieren, und sie uns von dort aus rechtfertigen zu lassen; son- dern umgekehrt: In den Bildern des Wittenberger Altars spricht die Reformation zu uns und mahnt uns an ihr Erbe und zwingt uns, unsere eigenen kirchlichen Anschauungen und Verhaeltnisse von ihr aus einer kritischen Pruefung zu unterziehen. So wollen wir die vier Bilder des Cranachaltars vor uns erstehen lassen und an ihnen das kirchliche Erbe del' Reformation zu entwickeln suchen. Wir beginnen mit del' Predella, d. h., mit dem breiten, aber nicht hohen, tragenden Grundbild auf dem Altar, auf dem sich dann das eigentliche grosse Altargemaelde mit seinen beiden Fluegelbildern erhebt. Das Predellabild stellt das Wesen der Predigt, so wie es von der Reformation neu erfasst wurde, dar. Die mittelalterliche Theologie sah die Predigt als die ueber Glaubens- und Lebens- fragen orientierende Rede des zum rector animarum, d. h., zum Seelenfuehrer erhobenen Geistlichen an. Als klassisch darf viel- leicht die Definition des Doktor universalis Alanus ab insulis gelten, der im 12. Jahrhundert "in Lehrbuch der Homiletik, also der Predigtlehre, geschrieben hat; er definiert die Predigt als die publica instructio morum et fidei, zu deutsch etwa als die oeffent- liche moralische und religioese Unterweisung. Wenn es auch in der katholischen Kirche durchaus nicht an Ansaetzen zu rechter biblischer Predigt fehlt, so ist doch jene Predigtauffassung in ihr bis zum heutigen Tage theoretisch und praktisch in GeHung geblieben. Sie kann sich eine solche Predigtauffassung auch leisten. Denn einmal meint sie, in ihrem Klerus einen von Christus eingesetzten 282 MISCELLANEA Stand der Seelenfuehrung zu haben, dessen Wort an sich als autoritatives Wort zu gelten hat; und dann meint sie, in dem Akt del' Wandlung del' Abendmahlselemente die direkte Gegenwart Gottes so eindeutig in ihren Kultus bannen zu koennen, dass sie es gar nicht noetig hat, die Predigt im Zusammenhang del' Frage nach der Selbsterschliessung Gottes zu sehen. Die katholische Kirche kann es sich also leisten, in del' Predigt dem autorisierten Seelen- fuehrer zu seinen autol'itativen Ausfuehrungen ueber Glaubens- und Lebensfragen das Wort zu erteilen, wobei diesel' sich wohl auch mehr oder weniger del' Schrift bedienen wird, ohne dass aber die Predigt eindeutig in der Schriftvel'kuendigung ihl' Wesen haette. Demgegenueber hat die Reformation das Wesen der Predigt in del' rechten Verkuendigung der Schrift el'schlossen - wie, das solI uns das Predellabild zu Bewusstsein bringen. Da sehen wir rechts auf einer Kanzel den Predigel', und dieser Prediger ist Luther selbst, so wie ihn die Gemeinde Wittenberg unzaehlige Male vor sich gesehen hat. Seine linke Hand ruht auf der aufgeschlagenen Bibel, so dass man deutlich erkennt, wie der Finger dem Text und nur dem Text folgt und gleichsam den Gehalt des Textes erhebt, del' dann in seinem Munde zur lebendigen Stimme, zur gegenwaertigen Anrede an die Gemeinde wird. Diese finden wir auf der anderen Seite des Bildes (links), Maenner, Frauen und Kinder, in ihren deutschen Sonntagsgewaendern, in keiner Weise Schablonen, son- dern ausgesprochen individuelle Menschen, deren Zuege uns zum Teil vertraut erscheinen; so duerfen wir in einem der Alten Lukas Cranach selbst erblicken und in einer der Frauen Frau Kaethe mit ihrem kleinen Hans. lndem diese Menschen gespannt auf die Predigt hoeren und nach dem Prediger sehen, sehen sie gar nicht auf diesen, sondern auf den grossen Crucifixus, der den Raum in der Mitte genau zwischen Luther und del' Gemeinde einnimmt und auf den del' Prediger mit seiner ausgestreckten rechten Hand deutet. Denn was einst am Kreuz geschehen ist, wird in der Predigt und durch die Predigt lebendige Gegenwart. Luther sagt im Grossen Katechismus: "Obgleich das Werk am Kreuz geschehen und die Vergebung der Suenden erworben ist, so kann sie doch nicht andel'S denn durch das Wort zu uns kommen." lndem die Predigt Verkuendigung der Schrift ist und nichts als Verkuen- digung del' Schrift, stellt sie uns unter das Kreuz und damit mitten in das sich selbst erschliessende Handeln Gottes hinein. Die PI'e- digt ist nicht eine mehr oder weniger erbauliche und belehrende Rede des predigenden Pfarrers, sondern sie ist Glied im Heils- wirken Gottes, del' in ihr - sofern sie wirklich die Schrift recht verkuendigt - gegenwaertig das Wort spricht, das er im Kreuz seines Sohnes gesprochen hat. Darum ist die Predigt in all ihrer menschlichen Unzulaenglichkeit doch Gefaess fuer das lebendige Wirken Gottes; in ihr ergeht das glaubenweckende und leben- schenkende goettliche Wort; oder - anders ausgedrueckt - in ihr gibt Gott seinen heiligen Geist, durch den er sich eine Gemeinde "beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei J esu Christo erhaelt MISCELLANEA 283 im rechte.n emlgen Glauben." Damit ist das Wesen der Predigt in letzter Tiefe gesehen und das mittelalterlich-katholische Ver- staendnis grundsaetzlich ueberwunden. Der Pfarrer hat mit seiner Person und mit seinen Ansichten in der evangelischen Predigt nichts zu suchen; er hat nicht eine religioes-moralische, autori- tative Rede zu halten, sondern er hat das Wort der Schrift recht zu verkuendigen, dass die Gemeinde sich vor Christus als ihren Herrn und damit mitten in das Handeln Gottes gestellt sieht. Dem Pfarrer ist mit diesel' Wesensbestimmung der Predigt eine unge- heure Verantwortung auferlegt, und es ist zu verstehen, wenn prak- tisch die evangelische Predigt von Anfang an immer wieder Ver- zerrungen bis hin zur voelligen Entstellung ihres Wesens erfahren hat und erfaehrt. Daran ist auch die Gemeinde nicht unschuldig, die oft falsche Erwartungen und darum oft auch eine falsche Beurteilung an die Predigt herantraegt und meist den Pfarrer gerade in der zentralen Orientierung seiner Predigt nicht ge- nuegend durch ihr Gebet traegt. Das Predellabild aber vermag es uns wieder ins Gewissen zu schieben, welches Erbe uns die Refor- mation mit dem evangelischen Verstaendnis der Predigt anvertraut hat. Es geht wirklich und wahrhaftig um die Realitaet der Gnaden- gegenwart Gottes, die dem menschlichen Wort - sofern es nichts ist und nichts sein will als eine Wiedererweckung der Schrift - verheissen ist; es geht wirklich und wahrhaftig um die gegen- waertige Macht des gekreuzigten Christus, durch den Gott uns heimsucht, und damit urn seine reale Gegenwart im menschlichen Wort. So ist das Predellabild als Darstellung des evangelischen Verstaendnisses der Predigt zugleich auch eine Darstellung der evangelischen Grundhaltung. Diese Menschen, die da unter der Kanzel sitzen, sind mcht an eine menschliche Autoritaet gebunden, auch nicht an die Luthers; indem sie auf ihn sehen, blicken sie eben nicht auf ihn, sondern auf den, dessen Opfer am Kreuz im Wort der Predigt aktuelle Anrede und schoepferisches Wort Gottes wird. Sollen doch nach Luther die Prediger "alle also lehren: Nicht sollst du auf mich sehen, noch mir folgen, sondern allein auf den Herrn Christum, was Er dir durch mich saget oder zeiget" (W. A. 45, 521, 13). Das ist die evangelische Freiheit, die in der Bindung an die letzte und entscheidende Autoritaet verwurzelt ist. Sie ist nicht zu verwechseln mit der in sich selbst ruhenden Freiheit des sogenannten modernen Menschen, dessen Freiheit - gerade weil sie sich von der entscheidenden Bindung loest - immer wieder zur Unfreiheit wird, und die - historisch gesehen - nicht aus der Reformation, sondern aus der Renaissance stammt. Wer wissen will, was evangelische Freiheit ist, kann auf dem Predella- bild sehen, dass sie die Bindung an das Wort vom Kreuz bedeutet und nur mit dieser Bindung gegeben ist. Das ist die evangelische Grundhaltung, wie sie Cranach gestaltet: 1m Glauben an das Wort vom Kreuz zu freiem, verantwortlichem Leben! Man koennte darum auch sagen, dass das Predellabild als Darstellung des evan- gelischen Verstaendnisses der Predigt zugleich eine Darstellung del' evangelischen Rechtfertigungslehre ist. Denn die da das Wort 284 MISCELLANEA yom Kreuz hoeren, werden im Glauben an das, was am Kreuz fuer uns geschehen ist, "gerechtfertigt" und so zu persoenlicher Kind- schaft erhoben. Del' rechtfertigende Glaube loest nicht wie die mystische Versenkung das individuelle Leben auf, sondern, indem er in die persoenliche Kindschaft erhebt, weckt und formt er wirk- liche Personhaftigkeit. Es ist darum kein Zufall, dass Cranach die Predigthoerer nicht - in del' Weise mittelalterlicher Kunst - typi- siert, sondern jeden einzelnen in ausgesprochen persoenlicher Eigenart gestaltet. Die evangelische Froemmigkeit vollendet sich nicht in einem mystischen Zerfiiessen des Individuellen, sondern indem Gott im Wort yom Kreuz den einzelnen, so wie er ist, per- soenlich rechtfertigt, ruft er in eine persoenlich-verantwortliche und das persoenliche Leben praegende Gemeinschaft mit sich. Das alles ist mit del' Darstellung des evangelischen Verstaend- nisses der Predigt auf dem Predellabild gegeben. Abel' wir wollen nicht uebersehen, wie sehr eben dieses evangelische Predigtver- staendnis unseren Gemeinden verlorengegangen ist, wie wenig man darum weiss und damit rechnet, dass sich in der Predigt und durch die Predigt ein unsere ganze Existenz neu begruendendes Geschehen vollzieht. Es ist jedoch fuel' uns alle eine Lebensfrage, ob wir die Predigt wieder mit Luther als vehiculum gratiae Dei (W. A. 2, 509, 15), d. h., als Fuhrwerk der Gnade Gottes, erkennen und suchen. Dazu kann uns das Predellabild verhelfen, in dem gleichsam Luthers homiletisches Vermaechtnis kuenstlerische Ge- stalt gewonnen hat; klingt es doch wie eine Unterschrift unter das Bild Cranachs, wenn Luther am 14. Februar 1546, also wenige Tage VOl' seinem Tod, in seiner letzten Predigt gesagt hat: "Rechte Pre- diger sollen allein Gottes Wort fieissig und treulich lehren und des Ehre und Lob allein suchen. Desgleichen sollen auch die Zuhoerer sagen: lch glaube nicht an meinen Pfarrherrn, sondern er sagt mir von einem andern Herrn, der heisst Christus, den zeigt er mir, auf des Mund will ich sehen!" (W. A. 51, 191, 21). Auf dem Predellabild erhebt sich das eigentliche Altar- gemaelde, das grosse Mittelbild mit seinen beiden Fluegelbildern links und rechts. Das Mittelbild, das eigentliche Hauptgemaelde, stellt das Sakrament des Altars dar, abel' nicht in del' Form einer gemeindlichen Abendmahlsfeier, sondern in der Form del' Ein- setzung des heiligen Abendmahles durch Christus. Da sitzen um einen runden Tisch Christus und seine Juenger beim letzten Mahl. Es ist ein wirkliches gemeinsames Essen und Trinken. Man sieht das Osterlamm auf dem Tisch; Brot wird zum Munde gefuehrt; ein Becher geht urn, ein anderer wird von einem Mundschenk gerade einem der Juenger, der sich zu uns hin umwendet, gereicht. Inner- halb des gemeinsamen Essens und Trinkens ist gerade del' Augen- blick festgehalten, in dem sich die Juenger erregt ueber die Moeg- lichkeit des Verrats unterhalten und in dem Jesus an Judas den Bissen reicht. 1m naechsten Augenblick wird dieser aufstehen, urn den Verrat zu vollenden, waehrend die anderen Juenger ihrem Herrn verbunden sind; sie werden ihn verlassen und verleugnen koennen, abel' sie werden von seiner ewigen Treue umfangen und MISCELLANEA 285 getragen sein. Durch die beiden grossen Fensterbogen im Hinter- grund sieht man in eine Landschaft, die Gleichnischarakter an- nimmt. Links ein maechtiger, festverwurzelter Baum - erinnert er an die W orte des ersten Psalms mit ihrer Verheissung fuer den "del' nicht wandelt im Rat del' Gottlosen, noch sitzt, da die Spoetter sitzen," dass er "ist wie ein Baum, gepfianzt an den Wasserbaechen, del' seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blaetter verwelken nicht"? Und rechts die gewaltige, hochragende Burg - wer denkt nicht an das Bekenntnislied des Luthertums, von dem, del' "bei uns wohl auf dem Plan ist mit seinem Geist und Gahen"? Wenn Lukas Cranach das Sakrament des Altars im Unterschied von den drei andern Bildern in del' Gestalt seiner Stiftung VOl' uns hinstellt, so laesst er sich wohl von dem Gedanken leiten, dass das Abend- mahlsverstaendnis, wie es die Reformation erschlossen hat und als ihr Erbe weitergibt, so am besten heraustritt. Ohne jede Polemik liegt durch diesen Rueckgang auf die Einsetzung des heiligen Abendmahles die katholische Vorstellung von del' Dar- bringung eines Suehnopfers voellig fern; es wird hier nichts ge- opfert, sondern es wird in Essen und Trinken empfangen; d. h., das Abendmahl ist nicht auch sacrificium (Opfer), sondern ausschliess- lich sacramentum. Wir wollen nicht uebersehen, dass die katho- lische Theologie sich zunehmend bemueht, das Messopfer in wesen- hafter Einheit mit dem Kreuzesopfer zu sehen, so dass das Messopfer als das in der Kirche stets gegenwaertige Kreuzesopfer verstanden werden kann. Ein fruchtbares Gespraech ist jedoch vorlaeufig noch dadurch erschwert, dass die katholische Praxis durchaus von der Vorstellung einer selbstaendigen Bedeutung der im Messopfer sich vollziehenden Wiederholung des Kreuzesopfers einschliesslich del' durch diese Wiederholung verfuegbar werden- den Gnadenwirkungen beherrscht bleibt. Wie die Vorstellung von del' Darbringung eines Suehnopfers, liegt im Cranachschen Abend- mahlsbild auch del' Gedanke an eine Wandlung del' Abendmahls- elemente, in del' man auf katholischer Seite gerne die Wiederholung des Kreuzesopfers findet, einfach fern. Hier geht es tatsaechlich urn das, was "in, mit und unter" dem Genuss von Brot und Wein empfangen wird, nicht urn eine Refiexion, ob Brot und Wein ausser- halb des Abendmahlsaktes noch etwas anderes sein koennten als eben Wein und Brot. Entsprechend sind die Juenger, die wir urn ihren Herrn versammelt sehen, nicht das Urbild eines Priester- standes, dem die Vollmacht zur Wandlung und zur Darbringung des Suehnopfers uebertragen wuerde, sondern das Urbild del' empfangenden Gemeinde. Dabei ist nicht zu verkennen, dass Cranach sich bemueht, auch die Juenger in persoenlicher Eigenart zu erfassen, und es ist vielleicht kein Zufall, dass del' sich um- wendende und vom Mundschenk einen Becher empfangende Juenger die Zuege Luthers traegt und zwar des Luthers, den Cranach im Jahre 1521 als Junker Joerg gemalt hat, waehrend der Mundschenk Cranachs zweitem Sohn, Lukas Cranach dem Juengeren, aehnelt. So weitet sich die erste Gemeinde del' Juenger in die Gemeinde del' Reformation hinein. Es geht hier wie dort 286 MISCELLANEA um eine empfangende Gemeinde. Diese ist - wie das Predellabild und die beiden Fluegelbilder zeigen - gewiss nicht ohne das Amt, das Wort und Sakrament verwaltet, abel' sie ist ohne eigentlichen Opferdienst und darum ohne eigentliche Priester, so dass ihr "priesterlicher" Dienst allein in dem gemeinsamen Lob- und Dank- opfer fuer das, was sie empfangen darf, besteht. Das heilige Abendmahl ist als Sakrament demgemaess wohl Eucharistie, d. h., Danksagung, aber nicht sacrificium, d. h., Opfer. Ohne dass irgend- eine Polemik erforderlich waere, leuchtet durch Cranachs Rueck- gang auf die Einsetzung des heiligen Abendmahles in ihrer schlichten Klarheit der ganze Unterschied zum katholischen Mess- opfer und darueber hinaus zum kathollschen Kirchenbegriff auf. Durch den gleichen Rueckgang auf die Einsetzung des heiligen Abendmahles wird von Cranach aber auch die Abgrenzung zum reformierten Sakramentsverstaendnis erzielt. Allerdings liegt hier alles sehr viel schwieriger, da eine sinnenfaellige Darstellung dessen, was in, mit und unter Brot und Wein empfangen wird, nicht moeglich ist. Die Ablehnung einer Sakramentsentleerung in del' Art del' Schwaermer und Zwinglis mag fuel' Cranach schon durch die Darstellung del' Einsetzung des heiligen Abendmahles gegeben sein, indem wir durch sie an die Einsetzungsworte des Herrn erinnert werden, die fuel' Luther immer die staerkste Stuetze seines realistischen Abendmahlsverstaendnisses gewesen sind. Wenn Christus ueber dem Brat, das er zum Genuss reicht, sagt, dass es sein Leib ist, und ueber dem Wein, dass es sein Blut ist, so werden eben durch die Verheissung seines Wortes real Leib und Blut des Herrn in, mit und unter Brot und Wein empfangen. Das Geheimnis, Val' dem wir so stehen, ist nicht groesser und nicht andersartig als das Geheimnis, dass auch das Menschenwort rechter Schriftverkuendigung vehiculum gratiae Dei ist. Was dort von Herz und Sinn aufgenommen wird, wird hier auch leiblich und damit in unausweichbarer persoenlicher Bezogenheit empfangen. Die Leiblichkeit dieses Empfangs ist selbstverstaendlich keine irdisch-materielle, sondern eine himmlisch-geistliche, aber nicht weniger reale Leiblichkeit. Aber es gibt ja nicht nul' eine Sakra- mentsentleerung in del' Art del' Schwaermer und Zwinglis, die Cl'anach durch eine einfache Dal'stellung del' Einsetzung des heiligen Abendmahles mit ihl'er Erinnel'ung an die konstituierenden Hel'renworte zurueckweisen kann. Pl'aktisch scheint diese Sakra- mentsentleerung innel'halb del' l'eformierten Gebiete und Gemein- den durch Calvin ueberwunden worden zu sein. Schwerwiegendel' ist daher die Abgrenzung gegenueber dem sich anbahnenden und auch auf das Luthertum Einfluss gewinnenden calvinistischen Abendmahlsverstaendnis, das zwar einen realen Empfang zu be- haupten sucht, den lutherischen Realismus aber nicht voll erfasst und'darum das Altarsakrament doch seines eigentuemlichen Ge- halts entleert. Cranach verweist auf das Wesentliche des luthe- rischen Sakl'amentsrealismus, indem er auf seinem Gemaelde den Augenblick festhaelt, in dem Judas den "Bissen" empfaengt; er empfaengt das Sakrament, wie Luther sagt "zum Tod und Gericht" MISCELLANEA 287 (E. A. Doppelte Hauspostille, Abt. I; Dietrichsche Ausgabe, 1. Band, 315); aber er empfaengt es tatsaechlich, weil seine Reali- taet allein auf dem Wort des Herrn und nicht auf dem Glauben des Empfaengers beruht. Wenn der Calvinismus aller Schat- tierungen vor solchen Konsequenzen zurueckscheut, so laesst er dadurch erkennen, dass es ihm letztlich doch nicht urn einen realen, auf dem Wort des Herrn beruhenden Empfang im Akt des Essens und Trinkens geht, sondern dass es sich um einen Empfang han- delt, der nur fuer den Glauben wirklich und darurn yom Essen und Trinken des Mundes unabhaengig ist. So verhaeltnismaessig nebensaechlich die Frage ist, was Judas und mit ihm der Un- wuerdige oder Unglaeubige im heiligen Abendmahl empfangen, tritt doch an diesem Punkt heraus, ob das Sakrament wirklich Sakrament ist oder nicht. Das hat Cranach erfasst und durch sein Altargemaelde uns lebendig gemacht. Wie durch seinen Rueck- gang auf die Einsetzung des heiligen Abendmahles durch Christus gleichzeitig eine Abgrenzung gegen das katholische und reformierte Verstaendnis erfolgt, so hat auch Luther in seiner letzten Predigt vor seinem Tod sich Papst und Sakramentierern gegenueber auf die Einsetzung des heiligen Abendmahles berufen und beiden vor- geworfen, dass sie als "rechte Meister Klueglinge" damit "nicht zufrieden sind, was Gott gemacht und eingesetzt hat" (W. A. 51, 188, 15). Vielleicht hat Cranach dem sich urnwendenden Juenger die Zuege Junker Joergs urn deswillen gegeben, weil Luther im December 1521, als er von der Wartburg aus in den Tagen der wirren Neuerungen fuer einige Tage Wittenberg besuchte und dort geheime Besprechungen fuehrte, das Sakrament in gleichzeitiger Abwehr des katholischen Messopfers und der schwarmgeistigen Entleerung fuer die Kirche zu retten hatte. Wir Heutigen haben allen Anlass, uns durch das Cranachsche Abendmahlsbild an den Sinn des Sakramentes und des uns in ihm von der Reformation anvertrauten Erbes mahnen zu lassen. Unserer Wertschaetzung entspricht es leider in keiner Weise, dass das Abendmahlsbild auf dem Cranachaltar das zentrale und beherrschende Bild ist. Wir muessten es ehrlicherweise wohl als Fluegelbild auf die Seite ordnen, da ja in unseren Gottesdiensten die Predigt als die Haupt- sache erscheint und das heilige Abendmahl nur ein Anhaengsel ist. Aber vielleicht krankt unser Gottesdienst gerade daran, dass das Sakrament des Altars nicht den ihm zukommenden Platz einnimmt. Denn schliesslich begruendet und traegt nicht nur die W ortver- kuendigung das Sakrament, sondern kann auch umgekehrt die Wortverkuendigung nur yom Sakrament her als vehiculurn gratiae Dei verstanden und aufgenommen werden. * Es steht also mit einer rechten Wertung des Sakraments zugleich auch die rechte Wertung unseres ganzen Gottesdienstes auf dem Spiel. Es steht auf dem * ED. NOTE: If the author means to say that the character of the Christian service is not merely sacrificial, but chiefly sacramental, the statement is acceptable. It must be remembered that the efficacy of the Word is not dependent on the Sacrament. 288 MISCELLANEA Spiel, ob der evangelische Gottesdienst nur als eine menschliche Feier zur Anbetung Gottes und zum Hoeren des Schriftwortes erscheint, oder ob er in seinem ganzen Ablauf, d. h., in Wort und Sakrament, der Ort der Gnadengegenwart und des Handelns Gottes ist. Wenn es zu einer Neuerfassung des Altarsakramentes kommen solI, wird eine wirkliche Bemuehung urn das auf dem Cranachaltar bezeugte lutherische Abendmahlsverstaendnis hier einsetzen muessen, da nur hier gleicherweise die Gefahr der Sakramentsmagie wie der Sakramentsentleerung vermieden ist. In unserem Zusammenhang ist es nicht moeglich, die Tiefe der lutherischen Auffassung im einzelnen darzutun. Es sei hier nur die Einrede zurueckgewiesen, dass die calvinistische Auffassung dem modernen Menschen naeher liege als die allzu-realistische des Luthertums. Ob diese oder jene Auffassung dem "modernen" Menschen naeher liegt, besagt gar nichts in der Frage, welche Auffassung schriftgemaess und somit wahr ist. Zudem ist die Einrede nicht einmal richtig. Denn gerade das Luthertum weiss mit dem modernen Menschen, dass der Himmel, in dem nach unserem Glauben Christus lebt und regiert, nicht lokal im Sinne eines von uns entfernten Raumes zu fassen ist, in dem unser Herr leiblich zu suchen waere, sondern als der Machtbereich Gottes und somit als das Jenseits der Welt und aller zeit-raeumlichen Existenz. Eben darum kann man vielleicht sogar sagen, dass die lutherische Auffassung, die keine Zerreissung von leiblicher und geistlicher Gegenwart kennt, den modernen Menschen weit weniger zu befremden braucht als die reformierte, (die voraussetzt, dass der leiblich im Himmel als an einem Ort zu suchende Herr den Glaeu- bigen auf Erden durch seinen Geist an seinem fernen Leib in der Gleichzeitigkeit des irdischen Essens und Trinkens Anteil ge- waehrt). Jedenfalls - und das ist wichtiger - sieht allein die lutherische Auffassung das heilige Abendmahl im Zusammenhang mit dem Grundgeheimnis, von dem der Glaube lebt, naemlich mit der Menschwerdung Gottes in der Person J esu Christi. So wenig der allmaechtige und allgegenwaertige Gott es verschmaeht hat, in die Begrenzung der Leiblichkeit J esu einzugehen und so person- haft Menschen zu begegnen und an ihnen zu handeln, so wenig verschmaeht er es, die Begrenzung des von diesem Geschehen zeugenden W ortes und der sakramentlichen Zeichen dieses W ortes als Mittel seiner vollen Gegenwart zu gebrauchen und so von Person zu Person Menschen zu begegnen und sich eine Gemeinde zu schaffen. Oder - anders gesagt - der Gott aller Welten und Moeglichkeiten bindet seine reale Gegenwart an die schlichten und armen Zeichen von Wort und Sakrament, weil er den Weg der Menschwerdung gegangen ist, urn zu uns zu kommen und sich eine Gemeinde zu berufen, und weil eben dieser Weg der Mensch- werdung fuer uns durch Wort und Sakrament existentiell werden solI. Del' Leiblichkeit der Offenbarung in del' Person J esu Christi entspricht die Leiblichkeit der Gnadengegenwart im Raum del' Kirche als der Gemeinde des W ortes und Sakramentes. In der Mitte des Predellabildes ragt das Kreuz empor, an dem in voller MISCELLANEA 289 Leiblichkeit der eingeborene Sohn haengt, der durch sein un- schuldiges Leiden und Sterben eine Gemeinde "von allen Suenden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels" erloest. Was dort am Kreuz geschehen ist, wird durch das vVort yom Kreuz reale Gegen- wart. Darum gruendet sich auf dieses Wort - wie das grosse Mittelbild auf das Predellabild - das Sakrament des Altars, das uns in, mit und unter Brot und Wein das reale Kreuzgeschehen und damit Leib und Blut des fuer uns gestorbenen und nun leben- digen und in der Seinsweise Gottes gegenwaertigen Herrn dar- reicht. Die das Sakrament empfangende Gemeinde abel' versteht als eine kommunizierende Gemeinde auch das Wesen des W ortes, in dem uns del' gekreuzigte und auferstandene Herr und so die volle Gnade Gottes begegnet. Das ist del' lutherische Sakraments- l'ealismus, an den uns del' Cranachaltar als an ein heiliges El'be del' Reformation el'innel't und mahnt. Von den beiden Fluegelbildern zeigt uns das linke die heilige Taufe. Es ist kein Geringerel' als Melanchthon, del' sie vollzieht, indem el' ueber den riesigen Taufstein ein nacktes Kind haelt und mit Wasser begiesst. Tatsaechlich wil'd Melanchthon, del' ja kein Pfarramt innehatte, nicht viele Taufen vollzogen haben; umsomehr tritt heraus, dass Cranach etwas Besonderes sagen will, indem el' den groessten Gelehrten del' evangelischen Welt, den Praeceptor Germaniae, bei einer Taufe darstellt. So unscheinbar auch das aeussere Geschehen einel' Taufe sein mag, ist es doch del' ganzen Gelehrsamkeit eines Melanchthon nicht unwert. Denn was hier in del' heiligen Taufe real geschieht, ist so gross, dass aIle Erziehung und Bildung nul' von diesem Geschehen her sinnerfuellt ist. Dessen scheint sich auch Melanchthon auf Cranachs Bild dul'chaus bewusst zu sein. Ueber sein durchgeistigtes, fast unirdisches Ge- sicht geht ein sinnendes Laecheln, als wolle er sagen: Wie toericht ist das doch, was ich hier zu tun habe und doch - was kann ich Groesseres tun? Luther hat in seinen Schriften und Predigten immer wieder die Unscheinbarkeit der aeusseren Handlung und die Groesse der goettlichen Zusage, die diesel' Handlung gegeben ist, einander gegenuebergestellt. Ohne diese Zusage waere das Wasser "schlecht Wasser' (Kleiner Katechismus), "nicht ander Wasser, denn damit die Magd kocht" (Grosser Katechismus), und die Handlung eine gewoehnliche Was chung odeI' ein gewoehnliches Bad, eine "Badertaufe" (Grosser Katechismus). Mit del' Zusage Gottes abel' ist das Wasser "ein gnadenreich Wasser des Lebens" und die Handlung "ein Bad del' neuen Geburt im heiligen Geist" (Kleiner Katechismus). Dass wie beim heiligen Abendmahl das Wort allein die heilige Handlung zum wirksamen Sakrament macht, ist auf Cranachs Bild dadurch angedeutet, dass neb en Melanchthon ein Kuester steht, del' zu Haeupten des Kindes das aufgeschlagene Taufevangelium haelt. Das Symbol dessen aber, was die Taufe durch das Wort Gottes wirkt, mag das "Westerhemd", d. h., das grosse weisse Taufkleid, sein, das del' Kuester zur Bekleidung des getauften Kindes bereit haelt. Denn die heilige Taufe vel'setzt uns in der Tat in einen neuen Stand, in dem wir als Glieder am 19 290 MISCELLANEA Leibe Christi zu wirklicher Gemeinschaft mit Gott fuer Zeit und Ewigkeit berufen sind. Darum heisst es im Kleinen Katechismus von der heiligen Taufe: "Sie wirket Vergebung der Suenden, erloeset von Tod und Teufel und gibt die ewige Seligkeit." Das ist ganz real zu verstehen. Wohl nimmt der Glaube das, was die heilige Taufe wirkt, auf und eignet es sich immer wieder an, aber er ist nur das Empfangsorgan fuer das, was das Sakrament an sich wirkt. "Wenn das Wort bei dem Wasser ist, so ist die Taufe recht, obschon der Glaube nicht dazu kommt" (Grosser Kate- chismus). Darum kann die heilige Taufe auch den neugeborenen Kindern nicht vorenthalten werden. Sie werden gewiss in del' Hoffnung und mit der Bitte getauft, dass auch sie glauben moegen; aber sie werden nicht auf ihren Glauben, sondern auf den Befehl und die Zusage Gottes hin getauft. Das ist wie beim heiligen Abendmahl der lutherische Sakramentsrealismus, ohne den es auch fuer uns kein Sakrament im eigentlichen Sinn gibt. Wenn das Sakrament der Taufe uns als Kinder real in die Gliedschaft des Leibes Christi versetzt, so wurzelt in ihm die christliche Erziehung. Denn daraufhin werden Kinder erzogen, dass sie Gottes Eigentum sind und im Glauben in sich aufnehmen duerfen, was es heisst, Gottes Eigentum zu sein. AIle Menschenbildung hat ihre Seele in dem, was Gott fuel' uns getan hat und uns durch die heilige Taufe zueignet. Eben darum wohllaechelt Melanchthon auf Cra- nachs Altarbild in dem Wissen, dass seine ganze Gelehrsamkeit und aIle seine Schulordnungen nur von der so unscheinbaren Tauf- handlung her Verheissung haben. Zugleich aber ist die christliche Erziehung eine mit der heiligen Taufe gegebene Verpfiichtung, da das Kind das, was ihm in der heiligen Taufe geschenkt wurde, nur dann glaubend in sich aufnehmen kann, wenn es unter dem Wort, durch das es zum Eigentum des dreieinigen Gottes berufen wurde, tatsaechlich lebt. Die Verpfiichtung der christlichen Erziehung wird grundsaetzlich von Eltern und Paten als Gliedern der Ge- meinde und in Verantwortung VOl' del' Gemeinde, darueber hinaus abel' von del' ganzen Gemeinde als dem Leibe Christi, an dem das Kind Glied unter Gliedern sein darf, uebernommen. Wenn auch der Glaube nicht dul'ch il'gendwelche Methoden del' El'ziehung, sondern nur durch das Wort selbst geweckt werden kann, ist die Gemeinde doch eben dieses Wort allen ihren Gliedern, und zumal ihren unmuendigen Gliedern schuldig. So finden wir auf Cl'a- nachs Taufbild im Vordergrund eine dichtgedraengte Gemeinde und am Taufstein selbst ausser dem Vater die sehr eindrucksvolle Gestalt des Paten mit seiner Frau. Dieser neben Melanchthon stehende Pate ist Lukas Cranach in eigener Person, del' dadurch, dass er sich selbst zum Paten stellt, die Wuerde des Patenamtes aufs staerkste betont. Durch diese Darstellung del' heiligen Taufe kann uns als Eltel'n und Paten sowohl, wie als Gliedern der Gemeinde unsere Verantwortung gegenueber der Erziehung unserer Kinder bewusst bleiben. Es ist auch ein Erbe del' Reformation, dass wir als Gemeinde zur Verantwortung fuel' die Erziehung gerufen sind. Darum werden wir unter den jeweiligen Verhaeltnissen zu pruefen MISCELLANEA 291 haben, wie wir dieser Verantwortung am besten genuegen. Dabei koennen wir heute nicht voraussetzen, dass wir innerhalb eines bewusst christlichen V oikes leben, das durch seine staatlichen Organe ganz selbstverstaendlich auch ein christliches Schulwesen gestaltet; sondern wir werden bereit sein muessen, dafuer einzu- treten, dass die christliche Erziehung nicht nur in das Elternhaus und in den Raum der Kirche verwiesen wird, sondern dass auch del' oeffentliche Unterricht dem Willen und der Verantwortung der Gemeinde und der Eltern Rechnung traegt. Ein unermesslicher Segen aber waere es, wenn sich genuegend Lehrer faenden, die als Glieder am Leibe Christi um den Grund aller Erziehung wissen und aus freier Uberzeugung unsere Kinder von diesem Grunde her und auf diesen Grund hin erziehen. In dem Sakrament del' Taufe wurzelt abel' nicht nul' die christliche Erziehung, sondern zugleich auch das ganze christliche Leben. Denn wir koennen ais Christen ja nul' ernst nehmen, was uns in der heiligen Taufe widerfahren ist. So ist uns die heilige Taufe der immer neue T1·0St, dass uns, obwohl wir in unserem alten menschlichen Wesen, in das wir hineingeboren sind, viel suendigen, dennoch vergeben ist und wir vor Gott rein sind und uns nichts von ihm scheiden wird. In diesem Sinn hat Luther in einer am 6. Januar 1546 in Halle ge- haltenen Predigt das Bild gebraucht, es gelte immer wieder, sein "Westerhemdlein" hervorzuholen, "das mir in der Taufe rein und weiss angezogen ist" CW. A. 51, 116, 39). Zugleich aber ist die heilige Taufe die immer wieder neue Mahnung, die Vergebung Gottes immer wieder zu suchen und zugieich den Kampf mit dem alten Wesen in uns aufzunehmen. In dies em Sinn sagt Luther in seiner vorletzten Predigt, die er am 7. Februar 1546 in Eisleben gehalten hat: "Aber die Lektion legt er dir auf, dass du deine eigene Schwachheit und Unreinigkeit erkennest, so noch in deinem Fleisch und Blut steckt, und solches Gott klagest und taeglich um Vergebung bittest, dazu auch ohne Unterlass wider dich selbst streitest und den suendlichen Neigungen und Luesten nicht den Zaum laessest, noch ihnen foigest wider dein Gewissen und also imIIler fuer und fuer die Suende an dir selbst rae chest und daempfest. Denn es sollen die Suenden nicht allein vergeben sein, sondern auch endlich gar ausgefegt und getilget" CW. A. 51, 181, 13). Zusammenfassend stellt Luther in seinem Kleinen Kate- chismus im Anschluss an Roemer 6 und die dort vorausgesetzte. Sitte des Untertauchens die Bedeutung der heiligen Taufe dahin fest, "dass der alte Adam in uns durch taegliche Reue und Busse solI ersaeuft werden und sterben mit allen Suenden und boesen Luesten und wiederum taeglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, del' in Gerechtigkeit und Reinigkeit fuer Gott ewiglich lebe". So ist die heilige Taufe in jeder Hinsicht nicht nur ein initium, sondern ein principium des christlichen Lebens, d. h., nicht nur ein Beginn im zeitlichen Sinn, sondern zugleich auch der stete Grund unseres christlichen Lebens, so dass - wie es im Grossen Katechismus heisst - "ein christlich Leben nichts anderes ist als eine taegliche Taufe". 292 MISCELLANEA Von da aus erschliesst sich uns das Verstaendnis des rechten Fluegelbildes auf Cranachs Altar, das uns die Beichte, in der sich die taegliche Taufe als taegliche Busse aktualisiert, vor Augen stellt. Auch in seinem Kleinen Katechismus geht Luther ganz selbstverstaendlich von der heiligen Taufe zur Beichte ueber, da in dieser auf Befehl und in der Vollmacht des Herrn die Vergebung der Suende dem einzelnen immer neu zugesprochen wird, so dass er durch die Beichte im Glauben hinnimmt, was durch die Taufe wirklich ist. Das rechte Fluegelbild zeigt uns Bugenhagen, den Stadtpfarrer von Wittenberg, auf einem Stuhle sitzend und das "Amt der Schluessel" verwaltend. Waehrend ein Mann nach em- pfangener Absolution gerade mit gefalteten Haenden weggeht, kniet ein anderer nieder und empfaengt die Absolution, indem Bugen- hagen ihm die rechte Hand, die einen maechtigen, das loesende Wort symbolisch darstellenden Schluessel haelt, aufs Haupt legt. Hinter dem Knieenden stehen weitere Maenner, an die sich Frauen anschliessen, so dass der offene Beichtstuhl von einer ganzen Kette beichtwilliger Menschen umgeben ist. Sie suchen den Trost des vergebenden W ortes, der allen, die ihre Suende und ihre Reue be- kennen, nicht vorenthalten wird. Des zum Zeichen haelt Bugen- hagen in seiner linken Hand den dem Unbussfertigen geltenden Bindeschluessel zurueck. Hiermit ist ausgedrueckt, dass nach dem Willen der Reformation die Beichte nicht ein Mittel zur Er- forschung und Aengstigung, sondern zur Troestung der Gewissen sein solI. Entsprechend hat Luther immer wieder eingeschaerft, dass die Beichte kein Zwang sein darf, so sehr er voraussetzt und mahnt, dass ein rechter Christ sie gebraucht, ferner, dass niemand sich rein beichten und so sich selbst Gerechtigkeit erwerben oder zu ihr beitragen kann, dass man also auch nul- solche Suenden ausdruecklich nennen soIl, deren man sich wirklich bewusst ist und die einem wirklich Not bereiten. Denn "darum ist's zu tun, dass du deine Not klagest und laessest dir helfen und ein froehlich Herz und Gewissen machen" (Grosser Katechismus). Luther hat die Beichte so hoch geschaetzt, dass er sie zeitweise auch als "Sakl'a- ment der Busse" gewertet hat. Offensichtlich ist auch Cranach von dieser Wertung bestimmt und gruendet auf das Predellabild als dem Bild der Predigt die Anschauung von drei und nicht zwei Sakramenten. Wenn trotzdem sich die Zaehlung von zwei Sakra- menten durchgesetzt hat, so allein urn deswillen, weil del' Beichte das ihr von Christus ausdruecklich gegebene Zeichen fehlt, weil Christus das "Amt der Schluessel" auf das Wort gestellt und nicht an eine bestimmte aeussere Handlung gebunden hat. Ob die Beichte aber als drittes Sakrament gezaehlt wird oder nicht, besagt nichts ueber ihren Wert und ueber ihre Geltung in der evan- gelischen Kirche. Es kann gar kein Zweifel sein, dass Luther im Gehorsam gegen das Wort des Herrn die private Absolution als einen wesentlichen und unaufgebbaren Auf trag der Kirche ange- sehen hat: "Wenn ich zur Beichte vermahne, so tue ich nichts anderes, denn dass ich jedermann vermahne, ein Christ zu sein" (Grosser Katechismus: Eine kurze Vermahnung zu der Beichte). MISCELLANEA 293 Entsprechend heisst es im XI. Artikel des Augsburgischen Be- kenntnisses: "Von der Beichte wird also gelehrt, dass man in der Kirche Privatam Absolutionem erhalten und nicht fallen lassen soIL" Dass die evangelische Kirche die Privatbeichte praktisch doch hat fallen lassen, ist eine schwere Schuld, die sie auf sich genommen hat und unter der ihre gesamte Seelsorge leidet. Die Einzelbeichte ist gewiss nicht aus Mutwillen praktisch durch die "allgemeine Beichte" ersetzt worden; das geht schon daraus hervor, dass zu den ersten, die eine allgemeine Beichte einfuehrten, August Hermann Francke gehoerte. Letztlich verantwortlich zu machen ist lediglich die Fehlentwicklung der Einzelbeichte innerhalb der lutherischen Kirche, der es nicht gelang, die Beichte im Sinne Luthers so zu gestalten, dass wirklich das frei begehrte Trostamt zur Geltung kam. Von Anfang an war verhaengnisvoll, dass Luther selbst die Privatbeichte mit einem Glaubensverhoer der Kommunikanten ver- band und sie so praktisch fuer alle, die das Sakrament des Altars empfangen wollten, obligatorisch machte; ferner, dass, sehr bald eine autoritativ geuebte Kirchenzucht eindrang, die das Wesen der evangelisch vel'standenen Beichte entstellte und zerstoel'te, viel- mehr es sich ueberhaupt nicht erst entwickeln und entfalten liess. Mit der vom Beichtstuhl aus geuebten Zucht ist ohne Zweifel ein gewaltiges, das ganze Yolk durchdringendes Erziehungswerk ge- leistet worden, zumal in und nach dem Dl'eissigjaehrigen Krieg; abel' es war eben doch nicht der Geist bruederlich helfender Seel- sorge, in dem das Amt der Schluessel geuebt wurde. Darum konnte es nicht ausbleiben, dass zunaechst die Gemeinden und dann auch die Pfarrer sich gegen die Privatbeichte auflehnten. Stand man doch entweder unter dem Eindruck der verbitternden Wirkung einer starr gehandhabten Kirchenzucht oder abel' unter dem noch quaelendel'en Eindruck eines mechanistischen Vollzugs del' Suen- denvergebung. Die allgemeine Beichte aber, durch die man allen Noeten zu entgehen suchte, kann in keiner Weise als Ersatz einer wirklich freien und seelsorgerlichen Beichte angesehen werden. Fehlen ihr doch zwei wesentliche Momente del' Einzelbeichte, und zwar einmal die Moeglichkeit der Aussprache alles dessen, was den Beichtenden bedrueckt, und dann del' ganz persoenliche, nul' auf diesen einen Menschen bezogene Zuspruch der Gnade Gottes. Gewiss ist es in der evangelischen Kirche nie ganz vergessen wor- den, dass es in ihr eine Gelegenheit zul' Einzelbeichte geben sollte. Wohl in jeder Gemeinde wird darauf verwiesen, dass der evan- gelische Pfarrer "jederzeit" in seelsorgerlichen Angelegenheiten zu sprechen sei und dass auch fuer ihn das Beichtsiegel gelte. Da es aber an einer geordneten Gelegenheit zur Einzelbeichte fehlt, kann diese auch nicht zu einem wirklichen Faktol' del' Seelsorge werden. Die Seelsorge vollzieht sich vielmehr statt in den festen und doch beweglichen Formen einer Beichte innerhalb eines Ge- spraechs, das durchaus nicht immer zur Sache vorzustossen vermag und nur selten die persoenliche Troestung del' Privata Absolutio vermittelt. Daran krankt unsere ganze Seelsorge. Das Beichtbild Cranachs kann es uns aber deutlich werden lassen, dass eine Kirche, 294 MISCELLANEA die das Amt del' Schluessel nicht auch in del' Einzelseelsorge ver- waltet, jedenfalls keine evangelische Kirche im Sinne del' Refor- mation ist und an ihrem Erbe schuldig wird. Die geordnete Ein- zelbeichte wird, wenn sie eine rechte evangelische Seelsorge ueben will, grosse Anforderungen an den Pfarrer stellen. In seinem Klei- nen Katechismus sagt Luther abschliessend zur Beichte: "Welche abel' grosse Beschwerung des Gewissens haben, odeI' betruebt und angefochten sind, die wird ein Beichtvater wohl wissen mit mehr Spruechen zu troesten und zum Glauben reizen." W enn man auf Cranachs Bild Bugenhagen betrachtet, so traut man ihm ohne weiteres zu, dass er seiner Aufgabe gewachsen ist. Man koennte an seinen Zuegen fast aIle Qualitaeten abies en, die ein rechter evangelischer Seelsorger haben sollte, VOl' allem Klarheit, Be- stimmtheit, Ruhe, Tiefe, Milde. Seine ganze Person strahlt Ver- trauen aus, und wir koennen es gut verstehen, dass auch Luther selbst den D. Pommer, wie sieh Bugenhagen nach seiner pommer- schen Heimat gerne nannte, zu seinem Beichtvater erkor. Da die Seelsorge nie mechanisch zu ueben ist, wird es darauf ankommen, dass es auch uns nicht an Pfarrern fehlt, zu deren Verschwiegenheit und Verstehen man ohne weiteres Vertrauen haben kann, schon weil man ihnen die eigene Bussfertigkeit abspuert. Es wird abel' noch mehr darauf ankommen, dass in die Mitte del' Seelsorge wieder klar das loesende Wort tritt, das del' Herr del' Kirche allen, die nach ihm hung ern, zugesprochen haben will. Es versteht sich, dass auch das Wort del' Absolution durchaus realistisch aufzu- fassen ist. Denn dUTch das menschliche Wort, das uns im Auftrag des Herrn zugesprochen wird, sprieht Gott uns frei von unserer Schuld. Darum heisst es im Grossen Katechismus: "Wo nun ein Herz ist, das seine Suende fuehlt und Trost begehrt, hat es hier eine gewisse Zuflucht, da es Gottes Wort findet und hoert, dass es Gott durch einen Menschen von Suenden entbindet und losspricht." Man kann wohl die Frage aufwerfen, ob es auch heute viele Herzen gibt, die "ihre Suende fuehlen und Trost begehren", ob sich die Seelsorge heute nicht vorwiegend vor andere seelische Noete ge- stellt sieht. Aber unter "Suende" verstehen wir ja mit den Refor- matoren unseren ganzen Gottwiderspruch, del' sich durchaus nicht nul' in del' Sphaere des "Ethischen" kundtut, sondeI'll gerade auch das Zweifeln und Verzweifeln an einem gottgesetzten Sinn des Lebens und die Absage an den persoenlichen und uns persoenlich beanspruchenden Gott mit umfasst. Denn die Erbsuende, d. h., die Suende, in del' wir uns in unserer menschlichen Existenz vorfinden, wenn uns durch das Wort Gottes das Auge dafuer geoeffnet wird, begreift nach del' von Melanchthon verfassten Apologie des Augs- burgischen Bekenntnisses (Artikel II) "auch den Jammer in sieh, dass kein Mensch Gott kennt odeI' achtet, keiner ihn herzlich fuerchten odeI' lieben odeI' ihm vertrauen kann", so dass wir in unserem ganzen Sein "stracks wider Gott" gerichtet sind. Es wird daher in der Seelsorge immer darauf ankommen, dass sie in die letzte Tide vorstoesst und dem Menschen in seinen jeweiligen Noeten da hilft, wo seine letzte und eigentliche Not verborgen liegt. MISCELLANEA 295 Dabei wird sich herausstellen, dass auch der moderne Mensch urn konkrete Suenden sehr viel mehr weiss und unter ihnen sehr viel mehr leidet, als ihm zu Bewusstsein kommt, odeI' als er Wort haben will. Wenn er auch von anderen Bezirken aus Seelsorge sucht, wird er doch froh sein, wenn diese ihm eine geordnete Gelegenheit gibt, sich auch in solchen Bezirken he1fen zu lassen, in denen er normalerweise keine Hi1fe begehrt. Die Vergebung der Suende aber, die uns durch das Wort der Absolution zuge- sprochen wird, umfasst unser ganzes Sein, da wir in unserem ganzen Sein nicht nul' an Gott vorbei, sondern gegen ihn leben. Darum kann auch clem modern en Menschen, in welchen Bezirken er zunaechst auch Seelsorge begehren oder sich gefallen lassen mag, nur durch das Wort geho1fen werden, das ihm seine Suende vergibt und durch das er mit Luther "zu seiner Taufe zurueck- kriecht". So duerfen wir in Cranachs Beichtbild die auch heute geltende Grunderkenntnis der Reformation finden, naemlich unsere Existenz in der "Suende" und zugleich unsere Existenz in der Gnade, die gleichzeitige Wirklichkeit des alten und des neuen Menschen, die Rechtfertigung aus dem Glauben, del' sich an das Wort del' Vergebung haelt. Damit sind wir aber auch auf das verwiesen, was man - sehr missverstaendlich - die evangelische "Ethik" nennen koennte. Auf Cranachs Bild traegt der Mann, del' gerade mit gefalteten Haenden nach Empfang der Absolution weg- geht, ein Schwed. Er ist also gekennzeichnet als Mann der Obrig- keit, die bekanntlich das Schwert "nicht umsonst" traegt, die dem Unrecht zu wehren und durch Einsatz ihrer Macht fuel' Recht und Frieden zu sorgen hat. Wenn es in dieser Welt von Gott so ge- ordnet ist, dass es ein Amt geben muss, das auch das Schwert zu fuehren imstande ist, so hat del' Christ, der in diesem Amte steht, in der treuen Erfuellung seiner Pflicht, seinen Gehorsam gegen Gott zu erweisen, und steht fuer seine Person voll und ganz unter dem Wort del' Vergebung, aus dessen Kraft heraus er in seinem Amt Gott und dem Naechsten dienen wird. Dasselbe gilt fuer jeden anderen Beruf. Die Erkenntnis del' bleibenden Wirklichkeit des alten Menschen verbietet es, einen Beruf odeI' einen Stand als "heilig" odeI' als "heiliger" auszusondern, und die Erkenntnis del' durch das Wort geschenkten Wirklichkeit des neuen Menschen gebietet es, in jedem Stand und Beruf Gott aus frohem und dank- barem Herzen zu dienen. Das Misstrauen der Reformation gegen jede "erdichtete Heiligkeit" meldet sich an, indem Cranach den getroestet und glaubend und damit in wirklicher Heiligkeit von dannen gehenden Christenmenschen als Mann der Obrigkeit kenn- zeichnet. Wir abel' sehen ihm nach und denken, dass er vielleicht das schoene Gebet sprechen koennte, das Luther in seiner zweit- letzten, am 7. Febr.1546 in Eisleben gehaltenen Predigt allen, die um die Vergebung ihrer Suende wissen, in den Mund legen moechte: "Lieber Gott, du hast mir aus grundloser Gnade die Suenden ver- geben. Hilf auch, dass ich hinfort Lust zu deinem Wort und Sakra- ment gewinne, dich und deinen Sohn mit Dankbarkeit lobe und preise, dass dein Name durch mich geheiligt werde, dein Reich 296 MISCELLANEA zu mir komme, und dein Wille in mir geschehe, also dass ich auch moege dahin kommen und ein froehlicher Mensch werden moege, alles mit Liebe und Lust zu tun und zu leiden, als die heiligen Maertyrer gewesen sind, die nach dem Tode, Teufel und Hoelle nicht gefragt haben" (W. A. 51, 181, 33). Damit stehen wir am Ende unserer Betrachtung des Witten- berger Altars. Es ist nicht so, dass wir uns an Cranachs gross em Werk schlechthin freuen koennen. Dafuer empfinden wir zu sehr den Abstand unserer heutigen kirchlichen Auffassungen von dem genuinen Anliegen der Reformation. Mancher mag sogar zunaechst befremdet sein, wie stark kirchlich gebunden die Reformation noch erscheint. Aber indem wir dieses "Noch" aussprechen, stellen wir uns kein Ehrenzeugnis aus, sondern klagen uns an, dass wir das Erbe del' Reformation schlecht verwaltet haben. Denn es geht hier ja nicht urn unverbindliche und zeitbedingte Auffassungen, sondern urn die verbindliche Erfassung del' ueberzeitlichen Wahr- heit. Die Reformation ist als eine Bewegung kirchlicher Erneu- erung del' Durchstoss zur ewigen Quelle des Lebens. Sofern sie diesel' Durchstoss ist, werden wir nie ueber sie hinausgefuehrt werden, sondern werden uns selbst nul' erneuern koennen, indem wir uns von ihr zu del' Quelle des Lebens fuehren lassen. Die Kirche kann immer nul' aus sich selbst heraus neu werden. Nul' wenn sie sich selbst ernst nimmt, nimmt sie Christus ernst, und wenn sie Christus ernst nimmt, nimmt sie sich selbst ernst. Denn sie ist als seine Gemeinde durch Wort und Sakrament die Staette seiner Gnadengegenwart und somit des Heilswirkens Gottes in- mitten einer heillosen Welt. Eine sich selbst ernstnehmende Kirche aber richtet in keiner Weise einen menschlichen Herrschaftsan- spruch auf, den Jesus Christus ueber aIle Menschen in allen Lebens- bezirken erhebt. Diesel' Herrschaftsanspruch vollzieht sich aus- schliesslich im Dienst. So wie des Menschen Sohn gekommen ist, nicht, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein 'Leben zur Erloesung fuer viele, so dient der lebendige Herr durch Wort und Sakrament allen, die ihn suchen. Der Witten- berger Altar bezeugt diesen Dienst des Herrn, von dem wir als Gemeinde und als einzelne leben duerfen, und indem er ihn uns bezeugt, wird er zum Mahnmal del' Reformation. Wir aber koennen vor ihm nur bitten: In diesel' schwerbetruebten Zeit verleih uns, Herr, Bestaendigkeit, dass wir dew Wort und Sakrament behalten rein bis an das End'. Eingesandt von A. O. Piepkorn, Kaplan in der Armee der Vereinigten Staaten